Sonntag, 16. März 2014

Wir kennen uns von Auschwitz

Von Daniela Neubacher
„Ich habe mir vorgenommen zu schreiben“
Herta Müller

Anderes Land, anderes Lager, andere Leben. Ich komme an. Zum ersten Mal in Oranienburg. Dennoch es fühlt sich wie ein Zurückkommen an. Als ich meinen Koffer über die Treppen der Jugendherberge trage, schleppe ich die tausend leeren Koffer hinter den Vitrinen mit. Im Bad ordne ich die zerbrochenen Zahnbürsten, bürste tonnenweise Haare. „Dein goldenes Haar Margarete“. Erinnerungsgerüste fallen um. Öffnen den Blick zurück an vergangene Landschulwochen. Das Stockbett mit dem eingeritzten Liebesschwur, das Brettspiel am Tisch, der Mehrzweckraum im Keller.

Sechs Wochen zuvor. Schnell wurde uns klar: Dieses Projekt ist kein Seminar wie üblich. Da war unglaublich viel erlebtes und überlebtes Leid. Und viel Mitleid. Wir sahen Marian Kołodziejs verstörende „Bilder der Vergangenheit“. Seine Augen blickten mir bis nach Budapest nach. Zwischen den Kellerwänden der Ausstellung. „Dein aschenes Haar Sulamit“. Wir schauderten zwischen Baracken, Ziegeln, Bretter und Betonlöcher. Wir froren die Rampe entlang, hielten uns an den Kameras fest, konzentrierten uns mehr als nötig auf die Stimme aus dem Funkkopfhörer. Nach dem Interview hat sie mich umarmt. Hat sich festgeklammert und geweint. Wir sind Rettungsringe ihrer Erinnerung. Sie tut es für mich, hat sie gesagt. Junge JournalistInnen schwimmen zwischen den Sätzen, schlucken und nicken dazu.

An diesem Abend lachen wir wieder. Lauter als sonst. Wir unterhalten uns darüber. Mit etwas Abstand will man meinen, sitzen wir - mit Hausschuhen an den Füßen, Wein im Glas, Touchscreen in den Händen, das Lächeln auf den Lippen – wieder zusammen und lachen. Unsere Pointen sind aufgezogene Vorhänge. Wir öffnen sie und schreien hinaus. Verschiedene Herkunftsländer, Ansichten, Muttersprachen. Unsere verbindende Sprache ist Englisch, doch in den Witzen blitzt das Deutsche durch. Schwarzer Humor. Schmunzeln über das Schild „Anschlussraum“ an der Tür, das „Lager“-Schild am Hotel-Gang. Es ist ein Zurückkommen zu einem gemeinsamen Blick auf diese Wörter. Wir lachen darüber und kramen alte Gesprächsfetzen hervor. Wir knüpfen neue daran an. Es ist ein einzigartiges Wiedersehen, denn wir kennen uns von Auschwitz.

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