Donnerstag, 23. Januar 2014

Erster Eindruck der "Nahaufnahme 2014" von Daniela Neubacher

Es sollte ein Fazit des Abends werden, ein erster Eindruck der „Nahaufnahme 2014“ – Geworden ist es weder ein durchdachtes Resümee noch eine reflektierte Einschätzung. Dafür ein paar Gedankenfetzen, viele Fragen und wenige Antworten. Kurz: All das, was einen  Schreiberling spätabends an die Tasten zwingt…

Warum sind wir hier? Was motiviert uns, eine Woche in Auschwitz zu verbringen? Sind wir hier, um über das Unsagbare zu berichten, bei dem Unaussprechlichen nachzuhaken und all das Unverdaute wiederzukäuen? Ich merke schon am ersten Tag: Die Sprache selbst ist mir dabei keine Hilfe. Sie behindert mich. Wir sind hier, um Zeitzeugen zu interviewen. Doch sie sprechen ihre eigene Sprache. Ihre Fremdsprache heißt allerdings nicht Polnisch oder Russisch. Sie hat hinter Stacheldraht gelebt,  in Holzbaracken gehaust, das Unbeschreibliche gesehen. Sie kann keine Worte haben. Sie muss versagen. Selbst hier in Auschwitz erreicht sie mich nicht.

Und meine? Die Sprache meiner Mutter ist die der Täter, ist die der Schuld, der Verdränger und Zweifler. Besonders an diesem Ort bleibt sie im Kopf stecken. Sie taumelt an den Tasten vorbei. Und bereits bei meiner ersten Begegnung hier zeigt sie mir ihre widersprüchliche Seite:  Ein junger Pole bemerkt bei meiner Ankunft meine Orientierungslosigkeit. Er spricht fließend Englisch und begleitet mich zum Museum, führt mich über das Areal. Sogar das Plaudern fühlt sich hier anders an. Eine Einbildung der Fremden? -  Ja, er kenne das  Zentrum, wo ich hin muss, meint er. Es liege an seiner Laufstrecke. Die Banalität des Alltags, denke ich, muss es auch in Auschwitz  geben. „Ich bin hier geboren. Ich bin hier schon tausendmal vorbeigegangen. Das ist eben Geschichte“, erzählt er im Gehen. Jetzt müssen sie erst recht raus, die Fragen: Wie fühle es sich an, in „Auschwitz“ zu leben? Wie reagieren Ausländer, wenn man erzählt, woher man stammt? Das Schmunzeln meines Gegenübers verrät: Ich bin nicht die erste, die das fragt. Also antwortet er ohne Bedenkzeit, blickt mich dabei aber nicht an: „Wir sagen hier ja nicht, dass wir aus Auschwitz sind. Wir kommen aus Oswiecim.“ Jetzt schmunzle ich und gehe weiter, verabschiede mich beim Museum. Und doch lässt mich diese Antwort nicht los. Wir Deutsche bzw. wir Deutschsprachigen haben „Auschwitz“ geschaffen. Das Wort gehört uns, mit all seinen Bildern und Konnotationen. Und Oscwiecim? Das gehört wohl dann den Polen, die hier leben. Der Unterschied steckt in der Fremdsprache. Und deshalb erreicht sie mich nicht. Die Sprache liegt dahinten im Lager.

„Nichts stimmt, aber alles ist wahr“
Herta Müller


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